Nicht viel. Denn Szenarien sind immer Idealtypen – vereinfachende, sehr allgemeine und vor allem statische Zukunftsbilder. Die Zukunft ist aber von vielen Faktoren abhängig, die sich permanent verändern und Rückwirkungen haben. Zahlreiche Akteure interagieren ständig, Rückkopplungen verändern ihre Positionen. Bei der vermeintlichen Blockbildung China/Rußland spielen beispielsweise Indien, Türkei, Indonesien und Saudi-Arabien dynamische Rollen. Wir sollten nicht versuchen, diese Komplexität zu reduzieren, sondern lernen, mit ihr umzugehen. Die Dinge sind in Bewegung und werden es bleiben, die Zukunft ist radikal offen.
Im Komplexitätsmanagement sprechen wir von emergenten Systemen, die durch das Zusammenspiel ihrer Elemente zur inneren Umformung fähig sind und aus Störungen neue Ordnungen und Bedeutungen generieren. Sie sind in ihren Reaktionen nicht voraussagbar. Mit fixen Szenarien kommen wir da nicht mehr weiter, auch wenn sie noch so fein ausgearbeitet sind. Es bleiben Schubladen. Ich darf den Zürcher Professor Felix Stalder zitieren: Die Vernetzung lehrt uns, viel stärker in Prozessen, Vermischungen und Verwandlungen zu denken. Weg von fixen Kategorien hin zu flüssigen, sich verändernden Kategorien, die auftauchen und dann aber wieder verschwinden. Die harte und statische Kategorisierung können wir heute vergessen.
Es gibt deshalb auch kein festes Ende, von dem her man denken kann. Im Szenario-Ansatz zeigt sich die Sehnsucht nach Stabilität in einer instabilen Welt. Wir müssen lernen, mit hoher dynamischer Komplexität umzugehen und mit Unsicherheit zu wirtschaften. Dazu gehören das 360-Grad-Monitoring, strategische Voraussicht und Antizipation durch Frühwarnung, das Management innerhalb von Kooperationen und Netzwerken, das dynamische Risikomanagement mit seinen veränderlichen Schadenshöhen, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Risikokompensationen, das unternehmerische Komplexitätsmanagement und die Entwicklung agiler Unternehmensstrategien mit kurzfristigen Zeithorizonten. Nur ein agiles Unternehmen kann sich schnell an verschiedene Situationen anpassen und dadurch manövrierfähig bleiben – wie ein Segelflieger, der sich flexibel von Thermik zu Thermik bewegt und auf diese Weise weite Strecken zurücklegt.
Dr. Hans Joachim Fuchs
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