Der Oberste Volksgerichtshof der Volksrepublik China hat eine Reihe neuer Rechtsauslegungen verabschiedet, welche Gerichtsverfahren bei IP-Streitigkeiten genauer regeln. Die juristischen Interpretationen sind seit dem 1. April 2016 in Kraft und sollen der Verbesserung und Vereinfachung von IP-Verfahren dienen.
Davon betroffen sind eine Vielzahl von Themen, darunter der Schutz von Geschmacksmustern, die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes und indirekte Patentverletzungen.
Auswirkungen von Nichtigkeitsverfahren bei Verletzungsverfahren
Wie im deutschen System haben chinesische Gerichte nicht die Befugnis, sich mit der Gültigkeit eines Patentes in Verletzungsverfahren zu befassen. Die Frage der Gültigkeit muss vom Patent Review Board (PRB) des SIPO geklärt werden. Unklarheit herrschte stets, inwiefern Nichtigkeitsverfahren einen Einfluss auf das Verletzungsverfahren haben. Die vorausgehende juristische Interpretation stellt ausdrücklich klar, dass die Gerichte die Verfahren nicht aussetzen müssen, wenn der Angeklagte die Gültigkeit des zugrundeliegenden Patents anficht.
Mit den neuen Regelungen wird es dem Gericht ermöglicht, die Forderungen des Klägers abzuweisen, falls das PRB das zugrunde liegende Patent für nichtig erklärt. Der Kläger kann erneut Klage einreichen, falls die Entscheidung des PRB in der gerichtlichen Überprüfung gekippt wird. Somit wird die Belastung für den Angeklagten deutlich reduziert.
Geschmacksmuster
Besonders interessant für einige Industrien ist, dass bei den neuen Regelungen der Schutz von Designs eine wichtige Rolle spielt. Das neue Konzept „design space“ beschreibt das Ausmaß an Freiheit bei Kreation und Design von relevanten Funktionen. Je größer der design space ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Konsument feine Unterschiede zwischen dem Produkt und dem patentierten Design bemerkt. Anders gesagt, wenn ein Produkt nur beschränkte Möglichkeiten für Designs hat (kleiner design space), dann können selbst kleinere Änderungen im Design dazu führen, dass sich ein vermeintlicher Nachbau nicht mehr vom Schutzumfang des Geschmacksmusters erfasst wird.
Schadensersatz
Chinesische IP-Richter sind sich einig, dass die Schadensersatzansprüche erhöht werden sollen. Im Markenrecht wurde die Beweislast bereits zugunsten des Klägers verschoben, die neuen Rechtsauslegungen übernehmen nun dieses Konzept. Falls der Kläger Beweise über die durch die Patentverletzung erzielten Gewinne des Beklagten vorbringen kann, der Beklagte diese Beweise aber nicht z.B. durch Rechnungsbücher widerlegen kann, kann das Gericht die Höhe des Schadensersatzes basierend auf den Beweisen des Klägers festlegen.
Indirekte Verletzung
In China wird über die Haftung für indirekte Patentverletzungen bereits seit über zwei Jahrzehnten diskutiert. Früher als erwartet haben sich nun überraschende Änderungen ergeben: Die neuen Rechtsauslegungen umfassen auch mitverschuldete Verletzungen – damit ist jeder Beteiligte, der einem Patentverletzer für kommerzielle Zwecke bewusst Materialien, Geräte oder Komponenten zur Verfügung stellt, auch haftbar. Es ist daher zu erwarten, dass in Kürze mehr Fälle mit indirekter Patenverletzung zu beobachten sein werden.
Spannende Veränderungen
Die neuen Regelungen sorgen für eine Vielzahl an spannenden Veränderungen im chinesischen Patentrecht. In Kürze dürfen neue Gerichtsurteile basierend auf den neuen Regeln erwartet werden. Interessant ist auch, wie die weiterhin ausstehende Überarbeitung des Patentgesetzes von den neuen Regelungen beeinflusst wird. Das State Council hat allerdings weiterhin die Priorität für besagte Überarbeitung nicht erhöht, sodass damit in unmittelbarer Zukunft noch nicht gerechnet werden kann.